Zweiter Zwischenbericht zur Zugentgleisung bei Garmisch-Partenkirchen
Spannbetonschwellen im km 97,676: Schwellen, die zur Bogenau- ßenseite verschoben waren, befinden sich im Bereich mit der Bezeichnung I. Die Schwellen, deren Spurhaltefähigkeit noch gegeben war, befinden sich im Bereich mit der Bezeichnung II (Foto: BEU).
Am 3. Juni 2024 veröffentlichte die Bundesstelle für Eisenbahnunfalluntersuchung (BEU) die Version 2.0 des Zwischenberichtes zum Zugunfall am 3. Juni 2022 zwischen den Bahnhöfen Garmisch-Partenkirchen und Farchant. Auf Grundlage des § 5 Abs. 5 Eisenbahn-Unfalluntersuchungsverordnung (EUV) ist die Erstellung eines Zwischenberichtes mindestens zu jedem Jahrestag des gefährlichen Ereignisses herauszugeben. Die Untersuchung befindet sich im Prozessschritt 4 Sachverhaltsanalyse.
Nach etwa 2 km Fahrt Richtung München erreichte der Zug RB 59458 mit der Lokomotive 111 035, vier Doppelstockwagen und dem vorausfahrenden Steuerwagen die im eingleisigen Streckenabschnitt 100 km/h zugelassene Geschwindigkeit. In Höhe des Gemeindeteils Burgrain befuhr der Zug nahezu mit dieser Geschwindigkeit einen Linksbogen mit 407 m Radius und entgleiste im km 97,676 gegen 12:16 Uhr mit allen Fahrzeugen.
Bei der Entgleisung wurden fünf Personen tödlich, 16 Personen schwer und 62 Personen leicht verletzt. An den Fahrzeugen und an der Infrastruktur entstand ein Sachschaden von geschätzt 4,75 Mio. EUR.
Im Wortlaut heißt es: „Die durch die Zugfahrt auf den Oberbau einwirkenden Kräfte, konnten von den im Bogen verbauten, vorgeschädigten Spannbetonschwellen nicht mehr aufgenommen werden und führten im Bereich der Schienenauflager/Sicken schließlich zu einem Versagen der Struktur. Infolgedessen kam es zu einer Verschiebung des gesamten Schwellenauflagers zur Bogenaußenseite. Hierdurch kam es zu einer unzulässigen Spurerweiterung und der Zug verlor zunächst den Kontakt zu der in Fahrtrichtung linken Schiene, während die in Fahrtrichtung rechte Schiene weiter befahren wurde. Unmittelbar danach folgten wieder intakte Spannbetonschwellen, wodurch sich die Spurweite wieder in Richtung zulässiges Maß verkleinerte. An dieser Stelle kam es zu einem mechanischen Zwang, so dass auch die noch auf der rechten Schiene laufenden Räder zur Bogenaußenseite gedrückt wurden und die Schiene überkletterten. In Folge der Entgleisung rutschten der dritte und vierte Wagen die Böschung in Richtung der parallel verlaufenden Bundesstraße B 23 herunter. Der zweite und dritte Wagen kippten um, wobei am dritten Wagen die Seitenwand durch die Kollision mit einem Oberleitungsmast teilweise aufgerissen wurde. Die anderen Fahrzeuge des Zuges kamen im entgleisten Zustand auf dem Gleis zum Stehen.“
Für die diagnostischen Untersuchungen wurden fünf an den ursprünglich vor Ort verbauten Spannbetonschwellen des Typs B 70 ausgewählt. Diese wurden zunächst fotografisch dokumentiert und anschließend beprobt. Ziel der Untersuchungen war der Nachweis oder Ausschluss einer Alkali-Kieselsäure-Reaktion (AKR), sekundären Etteringit-Bildung (SEB) sowie gegebenenfalls anderer Schadreaktionen. Die AKR und SEB sind chemische Reaktionen, die sich nach dem Herstellungsprozess von Betonbauteilen entwickeln und zu Schädigungen führen.
Im Ergebnis der Untersuchungen konnte nachgewiesen werden, dass die beiden aus dem in der Abbildung dargestellten Bereich I stammenden Spannbetonschwellen die stärksten Schädigungen aufwiesen. Diese waren eine Folge des kombinierten Ablaufs von AKR und SEB. Die Schädigungen unterlagen einem länger ablaufenden Prozess und haben unter den nutzungsbedingten mechanischen Beanspruchungen zu einem strukturellen Versagen der Spannbetonschwellen geführt.
Insbesondere bei Spannbetonschwellen aus dem Bereich I der Abbildung 4 war ein vollständiges Erkennen der Schädigungen durch eine augenscheinliche Inspektion im eingebauten Zustand nicht möglich. Die inneren Schädigungen waren bei den untersuchten Spannbetonschwellen deutlich höher als von außen erkennbar.
Als Grundlage zur Qualitätssicherung bei der Herstellung von Spannbetonschwellen dient der DB Standard (DBS) 918 143 „Technische Lieferbedingungen Gleis – und Weichenschwellen aus Beton für Schotteroberbau und Feste Fahrbahn“. Die aus dem Bereich I untersuchten Spannbetonschwellen wurden im Jahr 2006 hergestellt. Seitdem wurde der DBS 918 143 unter anderem auch aufgrund der Erfahrungen hinsichtlich AKR/SEB mehrfach angepasst. Mit verbindlicher Einführung des Anhangs G „Beurteilung des AKR-Potentials von Schwellenbetonen – AKR-Performance-Prüfung und Rezepturbewertung“ im Jahr 2018 erfolgte dann eine konsequente Verschärfung der Vorgaben. Gemäß des Anhangs G sind unter anderem auch regelmäßige Überwachungen/Rezepturbewertungen
durchzuführen. Bei der Feststellung von Auffälligkeiten fehlen weiterhin Regelungen zur zeitnahen Rückverfolgbarkeit sowie Maßnahmen für die weitere Schwellenproduktion.
Auf der Grundlage der bisherigen Erkenntnisse ergehen nachfolgende Sicherheitsempfehlungen an die nationale Sicherheitsbehörde und die Eisenbahninfrastrukturunternehmen:
• Es wird empfohlen, ein technischesVerfahren zur vollumfänglichen Prüfung des Zustandes von Spannbetonschwellen aller Hersteller im eingebauten Zustand zu entwickeln.
• Es wird empfohlen, eine zentrale Rückverfolgbarkeit verbauter Spannbetonschwellen zu gewährleisten.